Das Raiffeisen-Jahr 2018
Was für ein Comeback. Mit der Anerkennung der Genossenschaftsidee zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit meldete sich Friedrich Wilhelm Raiffeisen Ende 2016 eindrucksvoll zurück. So richtig weg war er ja nie, aber auf sein Andenken hatte sich doch etwas Staub gelegt. In seinem Jubiläumsjahr 2018 wird die Wiederentdeckung des Visionärs und Reformers aus dem Westerwald nun fortgesetzt – online, offline und live. Zu Recht, denn Raiffeisens Idee verbindet – und sie ist aktueller denn je.
Werner Böhnke
Manchmal bedarf es eines starken, vielleicht sogar schmerzhaften Impulses, um innezuhalten und das eigene Tun zu reflektieren. Für mich war die so genannte Finanzkrise ein solcher Impuls. Heute wissen wir: Die Finanzkrise brachte eine Reihe von Verlierern und sie brachte zum Teil horrende Verluste mit sich – und die Frage nach der Verantwortung wurde allzu oft verdrängt. Zu den Verlusten, die mich am meisten beschäftigten, gehörten aber nicht nur die materiellen, sondern vielmehr waren es die beispiellosen Verluste an Vertrauen. Darunter leidet die Finanzbranche noch heute. Übrigens auch diejenigen aus der Bankenwelt, die stets verantwortlich und nachhaltig gehandelt haben. Für die eben nicht das eigene Wohl, sondern das ihrer Kunden im Mittelpunkt steht.
Die Genossenschaftsbanken haben die Finanz- und Vertrauenskrise relativ gut überstanden. Manche Beobachter meinen gar, sie seien gestärkt aus ihr hervorgegangen. Das liegt wohl auch daran, dass die Kunden sehr oft auch die Eigentürmer sind und andere Interessen verfolgen als ausschließlich hohe Renditen. Es liegt aber auch daran, dass genossenschaftliche Kreditinstitute bodenständig und im besten Sinne vielleicht auch ein wenig altmodisch geblieben sind. Eine Genossenschaftsbank – das ist eben nicht der glamouröse Glaspalast in fernen Finanzzentren dieser Welt. Das ist die Bank gleich nebenan. Dort arbeiten Menschen, die nahbar und ansprechbar sind – das erzeugt Sicherheit, das schafft Vertrauen.
Ein moralischer Kompass
Das gelingt uns, weil wir Genossenschaftler uns zu einem Mann und dessen Idee bekennen, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert hat. Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der Vater der Genossenschaftsbewegung, folgte einem klaren moralischen Kompass. In seinem Wirken war er mutig und konsequent, tief geprägt von christlichen Prinzipien. Als Person war er zugleich uneigennützig und stets bereit, sein Tun zu reflektieren, wenn es der Sache diente.
In der Diskussion mit Hermann Schulze-Delitzsch, dem in Berlin wirkenden anderen großen Vater der Genossenschaftsidee, zeigt er sich trotz aller Differenzen lernbereit: „Ich konnte mich von der Idee nur ungern trennen, dass solche Vereine nicht auf Eigennutz, sondern auf Christenpflicht und Nächstenliebe gegründet werden (…). Gegen den hochachtbaren (…) Herrn Schulze-Delitzsch hatte ich diese Idee in einem Briefwechsel sehr warm verteidigt; nach den gemachten Erfahrungen muss ich demselben indes auf das Vollständigste darin Recht geben, dass derartige Vereine nur dann lebensfähig sind und bestehen können, wenn sie auf die unbedingte Selbsthilfe gegründet, d.h. nur aus solchen Personen gebildet sind, welche der Hilfe persönlich bedürfen.“
Sein Tun zu reflektieren, sich neu auszurichten, die Initiative zu ergreifen und sich in den Dienst einer Sache zu stellen – in dieser Hinsicht ist Raiffeisen für mich ein Vorbild. Umso mehr freut es mich, dass Raiffeisen als Person, vor allem aber als prägende Figur des Genossenschaftsgedankens, im Jahr seines 200. Geburtstags verdientermaßen ausgiebig geehrt wird.